Betroffener meldet Missbrauchsvergehen

Ein heute Mitte 70-jähriger Mann hat sich beim Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ gemeldet und angegeben, ab dem Jahr 1957 sexuell missbraucht worden zu sein. In diesem Zusammenhang schilderte der betroffene ehemalige Ministrant auch ein Missbrauchsvergehen durch den damaligen Bischof Heinrich Maria Janssen.

Der Mann nannte den Leiter des damaligen Hildesheimer Kinderheims Bernwardshof, einen Priester, und einen Kaplan am damaligen Hildesheimer Kinderheim Johannishof als Missbrauchstäter. Beide beschuldigen Geistlichen sind dem Bistum bereits als mutmaßliche Täter bekannt. Sie sind verstorben. Die Daten zu ihren Fällen sind in die MHG-Studie eingeflossen.

Der Betroffene gab außerdem an, dass er von jugendlichen Mitbewohnern der Kinderheime sexuell missbraucht worden sei. Weiterhin berichtete er, von einem Lehrer geschlagen worden zu sein, der am Bernwardshof und am damaligen Internat Albertinum tätig war.

Der Betroffene war Messdiener in Hildesheim. Er beschrieb neben den mutmaßlichen Taten auch ein Missbrauchsvergehen, das Ende der 1950er Jahre stattgefunden haben soll. Demnach soll Bischof Janssen den Messdiener aufgefordert haben, sich nackt vor ihm auszuziehen. Der Bischof habe ihn anschließend mit den Worten weggeschickt, er könne ihn nicht gebrauchen. Zum Bischof gebracht und wieder abgeholt wurde der Betroffene seinen Angaben zufolge durch den Leiter des Bernwardshofs.

Der Mann hat sich als Reaktion auf das öffentliche Gesprächsangebot von Bischof Wilmer an Betroffene sexualisierter Gewalt vom 25. September 2018 zunächst per E-Mail an den Bischöflichen Beraterstab in Fragen sexualisierter Gewalt gewandt. Diese an Bischof Wilmer persönlich adressierte Nachricht ging am 3. Oktober 2018 ein.

Anschließend wurden ein Gespräch vereinbart, das am vorigen Sonntag, 11. November 2018, in Hildesheim stattgefunden hat. Der Betroffene sprach mit einer der beauftragten Ansprechpersonen für Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt sowie einer weiteren, externen Psychiaterin und Forensikerin. Anschließend gab es noch eine persönliche Begegnung mit Bischof Wilmer.

Zu den Schilderungen des Mannes sagt Bischof Wilmer: „Es zerreißt mir das Herz angesichts dessen, was der Betroffene uns mitgeteilt hat. Die schrecklichen Verbrechen haben ihn für sein weiteres Leben schwer gezeichnet. Es macht mich wütend und tief traurig zugleich, dass ihm dies offensichtlich durch Mitarbeitende unserer Kirche angetan worden ist. Dass er sich dazu durchgerungen hat, mit uns über das riesige Leid zu sprechen, das auf seiner Seele lastet, verdient meinen allerhöchsten Respekt.“

Bischof Wilmer wird aufgrund der Schilderungen des Mannes eine externe Untersuchungsgruppe damit beauftragen, weitere Informationen zu den genannten Umständen, den beschuldigten Personen und erwähnten Institutionen zu sammeln. Ziel ist es, mögliche weitere Vergehen aufzudecken, mögliche weitere Betroffene zu ermitteln und mögliche Verbindungen der mutmaßlichen Täter untereinander zu rekonstruieren. Die Zusammensetzung dieser Untersuchungsgruppe und deren genauen Auftrag wird das Bistum Hildesheim noch bekanntgeben.

In Bezug auf Bischof Janssen erklärt Wilmer: „Der Mann hat uns ein mutmaßliches Missbrauchsvergehen mitgeteilt. Er schilderte, dass er von Bischof Heinrich Maria Janssen sexuell gedemütigt wurde. Es liegt nahe, dass eine solche mögliche Tat eng mit den seinerzeitigen diözesanen Strukturen in Zusammenhang stand, insbesondere mit den katholischen Kinder- und Jugendheimen in Hildesheim. Ich werde daher unverzüglich externe Experten beauftragen, die dieses Feld intensiv untersuchen werden. Vor allem muss ergründet werden, welche Rolle Heinrich Maria Janssen in diesem Zusammenhang gespielt hat.“

Wilmer betont: „Viele Menschen in unserem Bistum werden genau wie ich erschüttert sein, insbesondere die, die den Bischof als guten Seelsorger erlebt haben. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, durch eine externe Aufarbeitung mehr Licht in das Dunkel zu bringen.“

Hintergrundinformationen

Der Bernwardshof

Der Bernwardshof war eine Einrichtung der Kongregation der Vinzentinerinnen. Das Haus diente um die Wende des 19./ 20. Jahrhundert zunächst als Schwesternerholungsheim, dann aufgrund der Überlastung des (traditionellen) Kinderheim „Klein Bethlehem“ bei der St. Magdalenen-Kirche als Kinderheim für Jungen, vornehmlich schwer erziehbare Jungen, die hier auch beschult wurden. Das Haus wurde von einem Direktor geleitet, der Geistlicher war. In der Einrichtung arbeiteten stetig mehrere Vinzentinerinnen, ihre Zahl schwankte im Laufe der Jahrzehnte stark.

Als Kinderheim diente der „Bernwardshof“ bis 1987. Danach waren in dem weiträumigen Gebäude ein Schwesternerholungs- und -altenheim, verschiedene Verwaltungseinheiten der Vinzentinerinnen sowie bis 2011 das Bildungs- und Tagungshaus St. Vinzenz lokalisiert. 2015 räumte die Kongregation das Haus, danach waren übergangsweise Flüchtlinge und Asylbewerber/innen hier untergebracht, bevor das Haus und Gelände 2016 an ein Immobilienunternehmen verkauft wurde, das den Gebäudekomplex zu Wohnzwecken umbauen will.

Der Johannishof

Das Kinderheim Johannishof in der Hildesheimer Nordstadt in unmittelbarer Nähe der gleichnamigen Kirche wurde 1952 eröffnet. Träger dieser Einrichtung wurde bzw. war die Stiftung „Katholisches Waisenhaus, Hildesheim“. Die Leitung hatte der Pfarrer von St. Johannes, ihm waren durchgängig ein bis drei Kapläne zugeordnet.

Die „operative“ Verantwortung lag die Jahre hindurch bei 3-13 „Schwestern vom hl. Franziskus“ (Franziska-Schervier-Schwestern) mit dem Mutterhaus in Aachen. Mitte der 50-er Jahre lebten in dem Heim 100 Kinder, davon die Hälfte Jungen und die Hälfte Mädchen.

1984 wurde das Kinderheim aufgrund von Nachwuchsmangel bei der Schwesterngemeinschaft geschlossen, die zu dieser Zeit hier lebenden 25 Jugendlichen im Alter von 6 bis 17 Jahren wurden auf benachbarte Einrichtungen verteilt. Stattdessen wurde im „Johannishof“ eine Wohneinrichtung für Jugendliche mit geistiger Behinderung eingerichtet, in Trägerschaft des Diözesancaritasverbandes.