Bischof Wilmer beauftragt externe Fachleute mit Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch

Untersuchung umfasst die Amtszeit des verstorbenen Hildesheimer Bischofs Heinrich Maria Janssen

Das Bistum Hildesheim setzt die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch durch externe Experten fort. Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ hat vier unabhängige Fachleute beauftragt, mit Betroffenen und weiteren Zeitzeugen zu sprechen sowie in den einschlägigen Akten zu recherchieren.

Das Bistum Hildesheim setzt die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch durch externe Experten fort. Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ hat vier unabhängige Fachleute beauftragt, mit Betroffenen und weiteren Zeitzeugen zu sprechen sowie in den einschlägigen Akten zu recherchieren.

Nach dem 2017 veröffentlichten Gutachten des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) aus München ist es das zweite Mal, dass die Diözese Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt in ihrem Verantwortungsbereich von Gutachtern untersuchen lässt. Diese Untersuchung wird von einem Expertenteam durchgeführt, das unabhängig von den Interessen des Bistums arbeiten wird.

Die Leitung der externen Untersuchung hat die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht a. D. und ehemalige niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz übernommen. Sie fungiert als Obfrau.

Interviews mit Betroffenen und weiteren Zeitzeugen obliegen dem IPP unter Leitung der Diplom-Psychologen Gerhard Hackenschmied und Dr. Peter Mosser. Sie sind die Hauptautoren des vor zwei Jahren veröffentlichten Gutachtens zu verschiedenen Missbrauchsfällen im Bistum Hildesheim.

Die Recherche im Archiv leistet der Leitende Oberstaatsanwalt a. D. Kurt Schrimm aus Stuttgart. Er war 15 Jahre lang Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.

Antje Niewisch-Lennartz ist zusätzlich zu ihrer Funktion als Obfrau der Expertengruppe für Personen ansprechbar, die sich als Zeitzeugen äußern oder in anderer Weise Hinweise geben möchten, die für die Untersuchung relevant sein könnten (Kontaktmöglichkeiten siehe unten).

Dazu können etwa Schilderungen ehemaliger kirchlicher Mitarbeiter gehören, die sich möglicherweise bisher nicht geäußert haben, weil sie dienstrechtliche Konsequenzen fürchteten. Auch Beobachtungen und Einschätzungen von damaligen Gemeindemitgliedern oder von Personen, die beispielsweise in Internaten, Heimen oder im Priesterseminar gewesen sind, werden von der Expertengruppe entgegengenommen.

Dieses offene Gesprächsangebot der externen Experten richtet sich dezidiert auch an Betroffene sexualisierter Gewalt, die sich als Zeitzeugen äußern möchten. Betroffene haben darüber hinaus aber weiterhin jederzeit die Möglichkeit, sich an die fachlich zuständigen und entsprechend geschulten Ansprechpersonen für Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt im Bistum Hildesheim zu wenden (Kontaktdaten ebenfalls unten), die ebenfalls in keinem Abhängigkeitsverhältnis zum Bistum Hildesheim stehen.

„Wir möchten eine offene, schonungslose und wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung des Unrechts. Ich bin Frau Niewisch-Lennartz, Herrn Hackenschmied, Herrn Dr. Mosser und Herrn Schrimm sehr dankbar, dass sie diese wichtige Aufgabe übernehmen. Sie sind absolut unabhängig von unserer Kirche und daher bestens geeignet, Licht ins Dunkel zu bringen“, sagt der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ.

Den Ausgangspunkt für das Vorhaben bilden die in den Jahren 2015 und 2018 dokumentierten Missbrauchsvorwürfen zweier Betroffener gegen den verstorbenen Bischof Heinrich Maria Janssen. Die Aufarbeitung wird aber deutlich darüber hinausgehen und zeitlich die Jahre 1957 bis 1982 umfassen. Während dieses Zeitraums war Janssen Bischof von Hildesheim.

Es wird um die Frage gehen, welche Rolle die Führungsebene des Bistums im Umgang mit Priestern spielte, die in der Amtszeit Janssens tätig gewesen und des sexuellen Missbrauchs beschuldigt worden sind.

Ebenso soll geklärt werden, ob es ein Beziehungsgeflecht der mutmaßlichen Täter untereinander gab und ob dieses mögliche Beziehungsgeflecht durch ein bestimmtes Personalmanagement gefördert wurde.

Darüber hinaus wird Bestandteil der Untersuchung sein, inwieweit institutionelle Bedingungen zum Entstehen von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im Bistum Hildesheim beigetragen haben und welche Institutionen und Einrichtungen im Bistum betroffen waren.

Die Ermittlung durch die externen Fachleute erfolgt offen. Die Untersuchung ist als sondierende Studie angelegt und in eine Explorations-, eine Evaluations- und eine Ergebnisphase unterteilt. Alle drei Phasen sollen im Jahr 2020 abgeschlossen sein. Die Experten werden ihre Resultate dem Bistum und der Öffentlichkeit ohne jegliche Einschränkungen in einem Bericht mitteilen.

Sollten sich während der Sondierung weitergehende Fragestellungen ergeben, ist eine Folgestudie möglich. Die Expertengruppe wird in diesem Fall eine entsprechende Empfehlung an das Bistum aussprechen.

Kontakt zur externen Expertengruppe

Wer etwas zu berichten hat, das für die Studie relevant sein könnte, kann sich an die Obfrau der unabhängigen Expertengruppe, Antje Niewisch-Lennartz, wenden. Sie ist unter obfrau(ät)wissenteilen-hildesheim.de per E-Mail erreichbar. Außerdem steht sie erstmals am Dienstag, 16. April 2019, von 17 bis 19 Uhr in der Kirche Heilig Kreuz (Kreuzstraße 4, 31134 Hildesheim) für ein persönliches Gespräch zur Verfügung.

Die Folgetermine werden auf der Website der externen Expertengruppe (www.wissenteilen-hildesheim.de) sowie auf der Website des Bistums Hildesheim (www.bistum-hildesheim.de) bekannt gegeben.

Kontakt für Betroffene sexualisierter Gewalt im Verantwortungsbereich des Bistums Hildesheim

Betroffene sexualisierter Gewalt haben jederzeit die Möglichkeit, sich an die unabhängigen Ansprechpersonen für Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt im Bistum Hildesheim zu wenden. Sie sind unter den folgenden Kontaktdaten erreichbar:

Dr. Angelika Kramer
Fachärztin für Anästhesie, Spezielle Schmerztherapie
in den Räumen des Beraterstabs
Domhof 10-11
31134 Hildesheim
Tel. 05121 35567
Mobil 0162 9633391
dr.a.kramer(ät)web.de

Michaela Siano
Diplom-Psychologin
Kirchstr. 2
38350 Helmstedt
Tel. 05351 424398
rueckenwind-he(ät)t-online.de

Dr. Helmut Munkel
Arzt für Anästhesie und Intensivmedizin
Psychosomatische Medizin
Tel. 04749 4423266
(Büro-Adresse klärt sich noch, wird auf der Website des Bistums veröffentlicht.)

Der bisherige Stand der externen Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im Bistum Hildesheim

Einen ersten Schritt der externen Aufarbeitung stellt das im Herbst 2017 vorgestellte Gutachten des unabhängigen Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) aus München dar. Es befasst sich mit unterschiedlichen Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt durch Geistliche im Bistum Hildesheim.

Darunter ist die im Jahr 2015 erfolgte Meldung eines ehemaligen Messdieners, der angab, der verstorbene Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen haben ihn Ende der 1950er-Jahre bis Anfang der 1960er-Jahre sexuell missbraucht.

Ebenso im Fokus des IPP-Berichts steht der pensionierte Priester Peter R., der als einer der Haupttäter am Berliner Canisius-Kolleg gilt. Er war nach seiner Tätigkeit in Berlin mehr als 20 Jahre lang an verschiedenen Orten im Bistum Hildesheim als Seelsorger tätig. In dieser Zeit gab es diverse Hinweise auf mutmaßliche Taten, ohne dass dies ernsthafte Konsequenzen für den Geistlichen gehabt hätte.

Das IPP attestiert dem Bistum deshalb eklatante Schwächen. Ansatzpunkte für straf- und kirchenrechtliche Ermittlungen seien ignoriert und der Schutz möglicher weiterer Opfer außer Acht gelassen worden. Auch habe man eine mögliche Kindeswohlgefährdung nicht erkannt, nachdem eine 14-Jährige im März 2010 angegeben hatte, sie habe sexualisierte Gewalt durch Peter R. erlitten.

Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger (damals Diözesanadministrator des Bistums Hildesheim) sagte bei der Vorstellung der Studie, er sei zutiefst beschämt, zerknirscht und traurig über die Untersuchungsergebnisse: „Die eigene Schuld und das eigene Versagen im Umgang mit diesen Fällen lastet auf uns. Die Opfer und ihre Angehörigen bitte ich im Namen unseres Bistums um Vergebung. Uns ist sehr bewusst, dass ihnen großes Leid widerfahren ist.“

Neben der schonungslosen Aufklärung von Versäumnissen lieferten die Gutachter eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen, die das Bistum Hildesheim seitdem sukzessive umsetzt, um sich im Umgang mit sexuellem Missbrauch professioneller aufzustellen und die in dem IPP-Bericht als gut bewertete Präventionsarbeit noch weiter zu verbessern.

Als ersten Schritt berief Schwerdtfeger mit Wirkung zum 1. Januar 2018 die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer zur unabhängigen Leiterin des Bischöflichen Beraterstabs in Fragen sexualisierter Gewalt. Ihr steht seit September 2018 eine hauptamtliche Referentin zur Seite – eine Stelle, die das Bistum neu geschaffen hat.

Eine weitere Empfehlung aus dem IPP-Gutachten stellt die Umbesetzung der Ansprechpersonen für Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt dar: Am 1. Januar 2019 lösten Dr. Angelika Kramer aus Hildesheim und Michaela Siano aus Helmstedt in dieser Funktion die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Schwester Dr. M. Ancilla Schulz, und den Diplom-Psychologen Dr. John G. Coughlan ab.

Seit Kurzem steht außerdem Dr. Helmut Munkel aus Bremerhaven als dritte Ansprechperson zur Verfügung. Kramer, Siano und Munkel stehen in keinem Dienst- oder Abhängigkeitsverhältnis zur Diözese.

Zwei weitere unabhängige und entsprechend qualifizierte Ansprechpersonen sollen im Laufe des Jahres folgen. Ziel ist, dass sie in fünf verschiedenen Regionen des Bistums angesiedelt sind. Fallbezogen werden diese Ansprechpersonen in die Arbeit des Bischöflichen Beraterstabes in Fragen sexualisierter Gewalt eingebunden, um dort die Interessen der Betroffenen zu vertreten.

Darüber hinaus wird in diesem Jahr – ebenfalls als Konsequenz aus der IPP-Studie – eine neue Verfahrensordnung in Kraft gesetzt, die das Vorgehen im Umgang mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt klar regelt und für alle Einrichtungen des Bistums gültig sein wird, die mit Kindern, Jugendlichen oder erwachsenen Schutzbefohlenen zu tun haben.

Weitere Schritte der Aufarbeitung unternimmt der seit September 2018 amtierende Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ. Dazu zählt nicht nur die heute vorgestellte externe Expertengruppe mit ihrem (in der obigen Pressemitteilung umrissenen) Untersuchungsauftrag, sondern auch die vollständige Kooperation mit der niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza und den zuständigen Ermittlungsbehörden sowie die Mitarbeit des Bistums Hildesheim im Landespräventionsrat in Niedersachsen.

Das Bistum Hildesheim hat im Herbst 2018 Unterlagen an die Staatsanwaltschaft Hildesheim übergeben, um zu prüfen, ob sich in Bezug auf noch lebende beschuldigte Priester (möglicherweise bisher noch nicht verfolgte) Ermittlungsansätze ergeben.

Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin sechs Ermittlungsverfahren eröffnet, von denen zwei noch andauern. Die übrigen sind nach Kenntnis des Bistums Hildesheim (u. a. wegen Verjährung) eingestellt worden. Weitere Informationen dazu erteilt die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Hildesheim.