Norddeutsche Bistümer rufen Betroffene von sexualisierter Gewalt zur Mitwirkung auf

Öffentlicher Aufruf zur Besetzung eines Betroffenenrates

Das Erzbistum Hamburg sowie die Bistümer Osnabrück und Hildesheim rufen Betroffene von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche zur Mitwirkung in einem Betroffenenrat auf. Das Gremium wird auf Ebene der norddeutschen Metropolie gebildet, der die drei Diözesen angehören.

Der Betroffenenrat wird aus bis zu neun Personen bestehen und zum Thema sexualisierte Gewalt als Expertengremium tätig sein. Als stimmberechtigte Mitglieder können sich Betroffene, Angehörige von Betroffenen oder Betreuerinnen und Betreuer von Betroffenen bewerben.

Ein unabhängiges Auswahlgremium, das für diesen Zweck gebildet wird, entscheidet über die Mitgliedschaft in dem Betroffenenrat. Das Auswahlgremium bilden die Sozialarbeiterin Sylvia Egelkamp, die Rechtsanwältin Elif Gencay, der Sprecher der Initiative Missbrauch in Ahrensburg, Anselm Kohn, die Systemische Beraterin Karin Niebergall-Sippel und der Geschäftsführer der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen, Hanspeter Teetzmann. 

Personen, die sich in dem Betroffenenrat engagieren möchten, können sich unter www.erzbistum-hamburg.de/betroffenenrat informieren. Hier sind ein Aufruf zur Mitwirkung in dem Gremium, das Statut des Betroffenenrats und Informationen über die Personen, die das Auswahlgremium bilden, abrufbar. Bewerbungen sind bis zum 30. November 2021 möglich.

Der Hamburger Erzbischof Dr. Stefan Heße sagt zur Einrichtung des Betroffenenrats der Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück: „Betroffene zu hören und in einem eigenen Gremium an der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Kirche zu beteiligen, ist ein unverzichtbarer Baustein, um hier voranzukommen. Durch ihre Stimme wird auch das Leid vieler Betroffener hörbar, die sich nicht äußern können oder wollen. Zugleich ist ihre Sicht wichtig, um systemische Faktoren klarer zu erkennen, die sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche ermöglichen.“ 

Der Osnabrücker Bischof Dr. Franz-Josef Bode betont: „Viel zu sehr haben wir in der Vergangenheit – auch ich selber – vom Täter und vom Schutz der Institution Kirche her gedacht. Ich bin dankbar, dass wir seit einigen Jahren immer mehr lernen, von den Betroffenen her zu denken und zu handeln.“

Der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ sagt: „Wir müssen sehr selbstkritisch feststellen, dass transparente Aufarbeitungsvorhaben durch externe Fachleute innerhalb der Kirche in vielen Fällen auf Betroffene zurückgehen, die sich an die Öffentlichkeit gewandt haben. Ich bin den Betroffenen sehr dankbar für diesen enormen Mut. Mir ist es ein großes Anliegen, Betroffene in unsere transparenten Aufarbeitungsprozesse einzubeziehen. Dazu dient der Betroffenenrat.“ 

Der Betroffenenrat entsendet drei Personen als Mitglieder in die gemeinsame Kommission zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt auf Ebene der norddeutschen Metropolie. Die Errichtung dieser Kommission wird derzeit ebenfalls vorbereitet. Die gemeinsame Aufarbeitungskommission und der Betroffenenrat sollen gewährleisten, dass die externe Expertise und die Beteiligung von Betroffenen in der unabhängigen Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in den drei beteiligten Diözesen jederzeit garantiert sind.

Die Berufung dieser Gremien basiert auf der von der Deutschen Bischofskonferenz und vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs verabschiedeten „Gemeinsamen Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland“ vom 28. April 2020. 

Die Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück verbindet bis in das Jahr 1995 hinein eine gemeinsame Geschichte. Das Erzbistum Hamburg ist 1995 aus Gebieten der Bistümer Hildesheim und Osnabrück hervorgegangen. Deshalb wurde die Bildung einer gemeinsamen Aufarbeitungskommission und die Berufung eines gemeinsamen Betroffenenrates vereinbart.

Stichwort: Aufarbeitungskommission

Aufgaben der gemeinsamen Kommission werden die quantitative Erhebung von Fällen sexualisierter Gewalt in den drei beteiligten Diözesen, die Untersuchung des administrativen Umgangs mit Tätern und Betroffenen sowie die Identifikation von Strukturen sein, die sexualisierte Gewalt ermöglicht, erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben. 

Darüber hinaus sollen die Ergebnisse von Aufarbeitungsprozessen in den einzelnen Diözesen, bereits bekannter überdiözesaner Studien und neuerer Forschung durch die gemeinsame Aufarbeitungskommission in der Metropolie qualitativ vergleichbar betrachtet werden. Neu aufgenommene Aufarbeitungsprojekte in den (Erz-)Diözesen sollen dadurch intensiviert und strategisch an den Zielen der Aufarbeitungskommission ausgerichtet werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen für die Aufgaben der Prävention und Intervention in den einzelnen Diözesen nutzbar gemacht werden.

Mitglieder der Kommission sollen Fachleute aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlicher Verwaltung sowie Mitarbeitende aus den Diözesen sein, die in der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in Institutionen erfahren sind. Kirchliche Beschäftigte oder Angehörige eines diözesanen Laiengremiums müssen dabei in der Minderheit sein.

Insgesamt wird die Kommission neun Mitglieder umfassen, drei von ihnen werden aus dem Betroffenenrat entsandt und in der Kommission als Expertinnen oder Experten mitwirken. Die jeweiligen diözesanen Ansprechpersonen für Verdachtsfälle von sexualisierter Gewalt sowie die Präventions- bzw. Interventionsbeauftragten der Diözesen werden als ständige Gäste an den Sitzungen der Kommission teilnehmen.