Fragen und Antworten zur Aufarbeitung
Projekt "Wissen teilen" und MHG-Studie
Das Projekt "Wissen Teilen"
Wer sind die Frauen und Männer, die seit April 2019 das externe Gremium zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch während der Amtszeit des verstorbenen Bischofs Heinrich Maria Janssen (1957 bis 1982) gebildet haben?
Leiterin (Obfrau) der externen Untersuchung ist die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht a. D. und ehemalige niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) gewesen.
Mit ihr zusammen arbeiteten der Leitende Oberstaatsanwalt a. D. Kurt Schrimm aus Stuttgart, der 15 Jahre lang Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg gewesen ist, sowie Fachleute des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) aus München: Gerhard Hackenschmied, Dr. Peter Caspari, Dr. Florian Straus und Dr. Christa Paul.
Das IPP ist ein sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut, das in der Vergangenheit bereits mehrere unabhängige Studien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch in kirchlichen Institutionen vorgelegt hat, so auch im Bistum Hildesheim.
Was war Gegenstand der Aufarbeitung?
Den Ausgangspunkt für das Vorhaben bildeten die in den Jahren 2015 und 2018 dokumentierten Missbrauchsvorwürfe zweier Betroffener gegen den verstorbenen Bischof Heinrich Maria Janssen. Die Aufarbeitung ging aber deutlich über die beiden Vorwürfe hinaus und umfasste zeitlich die Jahre 1957 bis 1982. Während dieses Zeitraums war Janssen Bischof von Hildesheim. Auftrag der externen Fachleute war es, mögliche Strukturen aufzudecken, die sexuellen Missbrauch durch Mitarbeitende des Bistums Hildesheim möglich gemacht unterstützt, geduldet oder gedeckt haben. Sie nahmen also insbesondere auch die institutionellen Bedingungen in den Blick, die zum Entstehen von Unrecht beigetragen haben.
Bei der Recherche ging die Untersuchungsgruppe zweigleisig vor: Sie sichtete Unterlagen aus dem Archivbestand des Bistums und führte Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Darunter waren Betroffene von sexualisierter Gewalt. Aber auch aktive oder ehemalige kirchliche Mitarbeitende, Gemeindemitglieder oder weitere Personengruppen (etwa ehemalige Ministranten), die Angaben zum Gegenstand der Untersuchung machen konnten und wollten, wurden befragt oder konnten sich zu diesem Zweck an Obfrau Niewisch-Lennartz wenden. Die Obfrau stand in mehreren Orten im Bistum Hildesheim zu vorab kommunizierten Terminen für vertrauliche Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zur Verfügung.
Die Ermittlung durch die unabhängige Gruppe erfolgte offen. Die Untersuchung war als sondierende Studie angelegt. Die Expertinnen und Experten haben in ihrem Bericht Empfehlungen an das Bistum Hildesheim zum weiteren Vorgehen in der Aufarbeitung und im Umgang mit Betroffenen sexualisierter Gewalt ausgesprochen.
Konnte die Gruppe der externen Expertinnen und Experten ohne Einschränkungen arbeiten?
Die externen Expertinnen und Experten sind unabhängig und waren absolut frei in ihrer Arbeit sowie in der Kommunikation ihrer Ergebnisse. Sie erhielten vom Bistum Hildesheim vollständigen Zugang zu allen Informationen, die sie benötigten.
Gibt es neben der Studie zur Amtszeit von Bischof Janssen weitere Aufarbeitungsvorhaben im Bistum Hildesheim?
Ja. Einen ersten Schritt der externen Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch stellte das im Herbst 2017 vorgestellte Gutachten des unabhängigen Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) aus München dar. Es befasste sich mit unterschiedlichen Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt durch Geistliche im Bistum Hildesheim.
Darunter war die im Jahr 2015 erfolgte Meldung eines ehemaligen Messdieners, der angab, der verstorbene Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen haben ihn Ende der 1950er-Jahre bis Anfang der 1960er-Jahre sexuell missbraucht.
Ebenso im Fokus des IPP-Berichts stand der pensionierte Priester Peter R., der als einer der Haupttäter am Berliner Canisius-Kolleg gilt. Er war nach seiner Tätigkeit in Berlin mehr als 20 Jahre lang an verschiedenen Orten im Bistum Hildesheim als Seelsorger tätig. In dieser Zeit gab es diverse Hinweise auf mutmaßliche Taten, ohne dass dies ernsthafte Konsequenzen für den Geistlichen gehabt hätte.
Das IPP attestiert dem Bistum deshalb eklatante Schwächen. Ansatzpunkte für straf- und kirchenrechtliche Ermittlungen seien ignoriert und der Schutz möglicher weiterer Opfer außer Acht gelassen worden. Auch habe man eine mögliche Kindeswohlgefährdung nicht erkannt, nachdem eine 14-Jährige im März 2010 angegeben hatte, sie habe sexualisierte Gewalt durch Peter R. erlitten.
Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger (damals Diözesanadministrator des Bistums Hildesheim) sagte bei der Vorstellung der Studie, er sei zutiefst beschämt, zerknirscht und traurig über die Untersuchungsergebnisse: „Die eigene Schuld und das eigene Versagen im Umgang mit diesen Fällen lastet auf uns. Die Opfer und ihre Angehörigen bitte ich im Namen unseres Bistums um Vergebung. Uns ist sehr bewusst, dass ihnen großes Leid widerfahren ist.“
Neben der schonungslosen Aufklärung von Versäumnissen lieferten die Gutachter eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen, die das Bistum Hildesheim seitdem sukzessive umgesetzt hat, um sich im Umgang mit sexuellem Missbrauch professioneller aufzustellen und die in dem IPP-Bericht als gut bewertete Präventionsarbeit noch weiter zu verbessern.
Als ersten Schritt berief Schwerdtfeger mit Wirkung zum 1. Januar 2018 die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer zur unabhängigen Leiterin des Bischöflichen Beraterstabs in Fragen sexualisierter Gewalt. Ihr steht seit September 2018 eine hauptamtliche Referentin zur Seite – eine Stelle, die das Bistum neu geschaffen hat.
Eine weitere Empfehlung aus dem IPP-Gutachten stellt die Umbesetzung der Ansprechpersonen für Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt dar: Seit Januar 2019 gibt es unabhängige Ansprechpersonen, die in keinem Dienst- oder Abhängigsverhältnis mit dem Bistum stehen. Fallbezogen werden diese Ansprechpersonen in die Arbeit des Bischöflichen Beraterstabes in Fragen sexualisierter Gewalt eingebunden, um dort die Interessen der Betroffenen zu vertreten.
Darüber hinaus wurde im Jahr 2019 – ebenfalls als Konsequenz aus der IPP-Studie – eine neue Verfahrensordnung in Kraft gesetzt, die das Vorgehen im Umgang mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt klar regelt und für alle Einrichtungen des Bistums gültig ist, die mit Kindern, Jugendlichen oder erwachsenen Schutzbefohlenen zu tun haben.
Im Januar 2021 beauftragte das Bistum Hildesheim den Vorsitzenden Richter am Landgericht a. D. Wolfgang Rosenbusch, Hinweisen auf sexualisierte Gewalt durch einen mittlerweile verstorbenen Priester der Diözese nachzugehen. Aus dem im Juni 2021 veröffentlichten Untersuchungsbericht von Rosenbusch geht hervor, dass sich der Geistliche Georg M. an fünf ihm anvertrauten Kindern des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht hat.
Rosenbusch ermittelte, dass der mittlerweile verstorbene Bischof Dr. Josef Homeyer und der damalige Personalchef, Domkapitular Werner Holst, als Entscheidungsträger im Jahr 1992 den Pfarrer Georg M. aus der Pfarrgemeinde Christ König (Salzgitter-Bad) in die Pfarrgemeinde St. Marien (Cuxhaven) versetzt haben, obwohl sie durch das Jugendamt Salzgitter über Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch den Geistlichen in Kenntnis gesetzt worden waren.
Wie viele Akten gibt es, die sich auf die Amtszeit von Bischof Janssen beziehen?
Der Gesamtumfang aller im Bistumsarchiv Hildesheim und in der Registratur vorhandenen Unterlagen für die Amtszeit von Bischof Heinrich Maria Janssen beträgt etwa 2.000 laufende Meter. Für das Aufarbeitungsvorhaben waren aber nicht alle Unterlagen relevant, sondern verschiedene Teile aus dem gesamten Umfang für die Jahre von 1957 bis 1982.
Etwa 80 Prozent der Unterlagen, die Janssens Amtszeit betreffen, sind archivisch erschlossen oder teilweise erschlossen, wobei bis auf ganz wenige Ausnahmen alle eine eindeutige Archivkennung haben. Der Umfang der Unterlagen ist in sich sehr verschieden und reicht von einer lediglich ein oder zwei Seiten umfassenden Akte bis hin zu solchen mit 200 oder 300 Blatt. Dies gilt sowohl für Akten, die sich auf Orte oder Kirchengemeinden beziehen, also auch für Personalakten.
Aufbewahrt werden die Unterlagen des Archivs und der Registratur im Archiv am Pfaffenstieg, im Bischöflichen Generalvikariat am Hildesheimer Domhof sowie in den archivischen Außenstellen in Hildesheim, Hannover und Duderstadt. Das Bistumsarchiv hält sowohl am Hildesheimer Domhof entstandene Unterlagen vor wie auch solche aus Pfarreien und weiteren Einrichtungen des Bistums.
Warum geht der Untersuchungszeitraum nicht über die Zeit von 1957 bis 1982 hinaus?
Dafür gab es mehrere Gründe: Eine überwiegende Mehrheit der Geistlichen des Bistums Hildesheim, die in der MHG-Studie der sexualisierten Gewalt beschuldigt worden sind, haben einen direkten Bezug zur Amtszeit von Bischof Heinrich Maria Janssen, sind also innerhalb des Zeitraums von 1957 bis 1982 durchgehend als Seelsorger tätig gewesen oder haben in diesem Zeitraum zumindest ihre priesterliche Laufbahn begonnen.
Der 1988 verstorbene Janssen wird als bisher einziger deutscher Bischof des 20. Jahrhunderts direkt beschuldigt, ein Missbrauchstäter zu sein. Darüber hinaus ist das fortgeschrittene Lebensalter möglicher Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ein wichtiges Kriterium dafür gewesen, die Untersuchung zunächst auf die 1950er- bis 1980er-Jahre zu fokussieren. Der Hildesheimer Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ hat aber bereits angekündigt, die Aufarbeitung bis zur Gegenwart, also bis zu seiner eigenen Amtszeit, fortzusetzen.
Stand das Aufarbeitungsvorhaben in Konkurrenz zur Arbeit der Strafverfolgungsbehörden?
Nein. Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden ist es, Einzelvergehen nachzugehen. Anliegen der externen Aufarbeitung im Bistum Hildesheim war es, Strukturen in den Blick zu nehmen, die dazu beigetragen haben, sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch im Bistum Hildesheim zu ermöglichen, zu begünstigen oder zu decken. Der für die Aufarbeitung gewählte Zeitraum umfasst die Zeit von Ende der 1950er-Jahre bis Anfang der 1980er-Jahre, liegt also außerhalb der Verjährungsfrist für Sexualstraftaten.
Was kostet die externe Aufarbeitung?
Das Bistum Hildesheim hat die externen Expertinnen und Experten für ihre wissenschaftliche Tätigkeit bezahlt. Über die Höhe der Honorierung macht das Bistum Hildesheim im Interesse beider Vertragsparteien keine Angaben. Darüber hinaus finanzierte die Diözese bei Bedarf Sachmittel, die das Gremium benötigte, oder stellte Räumlichkeiten zur Verfügung.
Ergebnisse und Konsequenzen aus dem Projekt "Wissen Teilen"
Welches sind die wesentlichen Ergebnisse des Berichts?
Der Bericht benennt eklatante Missstände im Umgang mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch während der Amtszeit von Bischof Janssen. Demnach gab es von kirchlicher Seite Zuwendung und Schutz für die Täter, während die Betroffenen keinerlei Hilfsangebote erhielten und mit ihrem Leid allein gelassen worden sind.
Weiterhin seien unter der Verantwortung Janssens keine Schutzmaßnahmen getroffen worden, um nach bekannt gewordenen Missbrauchsvorwürfen gegen Geistliche weitere Straftaten durch diese Priester zu verhindern. Stattdessen habe es Schweigen und Vertuschung gegeben. Die Studie zeigt darüber hinaus, dass die Personalakten während der Amtszeit Janssens gravierende Mängel aufwiesen und ohne inhaltliche Ordnung geführt worden sind.
Zusätzlich zu den in den Jahren 2015 und 2018 dokumentierten Missbrauchsvorwürfen zweier Betroffener gegen den verstorbenen Bischof Heinrich Maria Janssen, hat die Gruppe der Fachleute keine weiteren Belege für durch Janssen selbst verübte sexualisierte Gewalt gefunden. Ebenso liegen den Expertinnen und Experten keine Hinweise darauf vor, dass es eine Kooperation mutmaßlicher Missbrauchstäter gegeben hat.
Die Untersuchung macht sichtbar, dass es offenkundig massives Unrecht gegenüber Minderjährigen in katholischen Heim-Einrichtungen im Bistum Hildesheim gegeben hat. Insbesondere in Bezug auf den von den Vinzentinerinnen geführten Bernwardshof in Hildesheim-Himmelsthür liegen Berichte über physische, psychische und sexualisierte Gewalt vor. Bischof Janssen habe diese „erzieherische Verantwortungslosigkeit“ über viele Jahre geduldet und mitgetragen.
Die Studie kann unter www.dokumente.bistum-hildesheim.de in Gänze eingesehen und heruntergeladen werden.
Welche Konsequenzen zieht das Bistum Hildesheim aus den Ergebnissen der Studie?
Bischof Wilmer hat bei der Vorstellung des Berichts deutlich gemacht, dass nun eine umfassende Lektüre und Auswertung der Studie bevorstehe, um anschließend die richtigen Konsequenzen aus den Berichtsergebnissen zu ziehen. Fest steht aber bereits, dass es weitere Aufarbeitungsvorhaben geben wird und dass das Bistum Hildesheim den Bereich der Aufarbeitung, Intervention und Prävention umbauen und personell aufstocken wird.
Die Diözese richtet für die Aufarbeitung und Vorbeugung sexualisierter Gewalt eine neue Stabsstelle ein. Darin wird die bisherige Fachstelle Prävention eingegliedert. Auch die Referentin des Bischöflichen Beraterstabes in Fragen sexualisierter Gewalt wird in den neuen Bereich integriert.
Damit arbeiten die Fachleute der Diözese für den professionellen Umgang und für die Vermeidung von Missbrauchsfällen künftig gemeinsam in einer Abteilung. Als qualifizierte Ansprechpersonen der Kirche werden sie bei zukünftigen Aufarbeitungsvorhaben die Arbeit der jeweils tätigen unabhängigen Expert*innen durch die Bereitstellung von Informationen unterstützen.
Darüber hinaus ist eine Verzahnung der neuen Stabsstelle mit der Präventionsarbeit im Diözesan-Caritasverband geplant. Derzeit sucht das Bistum nach einer Leitung für die Stabsstelle. Die Leitung der neuen Stabsstelle soll die Strategie des Bistums im Umgang mit Fragen sexualisierter Gewalt weiterentwickeln und auch als Ansprechpartner*in für Betroffene und Betroffenen-Initiativen zur Verfügung stehen.
Die neue Stabsstelle wird eng mit der Aufarbeitungskommission und dem Betroffenenrat kooperieren, die das Bistum Hildesheim auf Ebene der norddeutschen Metropolie gemeinsam mit dem Erzbistum Hamburg und dem Bistum Osnabrück etablieren wird.
Die Deutsche Bischofskonferenz erarbeitet derzeit eine Rahmenordnung für die Führung der Personalakten von Klerikern. Das Bistum Hildesheim wird diese Ordnung, die wahrscheinlich auf der Vollversammlung der deutschen Bischöfe Ende dieses Monats beschlossen wird, übernehmen und zeitnah in Kraft setzen.
Die Personalaktenordnung definiert verbindliche Regeln zur Führung der Personalakten, die vollständig und fälschungssicher zu führen sind. Die bisherigen Personalakten werden im Rahmen eines Sonderprojekts paginiert und in ihrer bisherigen Form geschlossen.
Gibt es Erkenntnisse über mutmaßliche Missbrauchsvergehen von Heinrich Maria Janssen, bevor er Bischof von Hildesheim wurde?
Nein.
Gibt es noch Geheimarchive?
Es gibt kein Geheimarchiv für Unterlagen zu Missbrauchsfällen. Künftig wird es im Archiv des Bistums Hildesheim ein Dokumentationszentrum geben, an dem alle Unterlagen zu Missbrauchsfällen systematisiert aufbewahrt werden.
Wird im Bistum auch die Zeit nach 1982 in den Blick genommen?
Eine unabhängige Aufarbeitungs-Kommission hat die Amtszeit von Bischof Heinrich Maria Janssen von den 50er-Jahren bis 1982 untersucht. Doch Bischof Heiner Wilmer will an diesem Punkt nicht mit der Aufarbeitung aufhören. So soll auch die Zeit danach in den Blick genommen werden. Das betrifft die Amtszeiten der Bischöfe Josef Homeyer, Norbert Trelle und Heiner Wilmer.
Erwartet das Bistum ähnliche Ergebnisse in den Folgeuntersuchungen?
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Tut die Kirche zu wenig, um alle Missbrauchsfälle aufzuklären?
Im Bistum Hildesheim ist in der Vergangenheit zu wenig getan worden, um sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch zu verhindern bzw. aufzuklären. Erste Einsichten lieferten die Erkenntnisse, die die Gutachter des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) im Jahr 2017 zusammengetragen haben. Sie attestierten dem Bistum Hildesheim im Umgang mit Verdachtsfällen in der Vergangenheit institutionelles Versagen. Aus dem Gutachten geht hervor, dass die Kirche den Schutz der eigenen Institution vor den Schutz Betroffener gestellt hat. Ein Aspekt dabei ist die unheilvolle Versetzungspraxis von beschuldigten Priestern. Die verheerenden Konsequenzen dieser fragwürdigen Praxis sind bekannt.
Das Bistum Hildesheim hat daraus gelernt und einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt eingeleitet, der auch von den unabhängigen IPP-Gutachtern anerkannt wird. Konkret heißt das: Professionalisierung der Intervention sexualisierter Gewalt, um mögliche Kindeswohlgefährdungen frühzeitig zu erkennen und mutmaßliche Täter möglichst frühzeitig aus dem Verkehr zu ziehen; weitere Verbesserung und Ausweitung der bereits als professionell und wirksam anerkannten Präventionsarbeit, um das Risiko von Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffen so gut es geht zu minimieren.
Was war der Bernwardshof für eine Einrichtung?
Der Bernwardshof war eine Einrichtung der Kongregation der Vinzentinerinnen. Das Haus diente um die Wende des 19./ 20. Jahrhundert zunächst als Schwesternerholungsheim, dann aufgrund der Überlastung des (traditionellen) Kinderheim „Klein Bethlehem“ bei der St. Magdalenen-Kirche als Kinderheim für Jungen, vornehmlich schwer erziehbare Jungen, die hier auch beschult wurden. Das Haus wurde von einem Direktor geleitet, der Geistlicher war. In der Einrichtung arbeiteten stetig mehrere Vinzentinerinnen, ihre Zahl schwankte im Laufe der Jahrzehnte stark.
Als Kinderheim diente der „Bernwardshof“ bis 1987. Danach waren in dem weiträumigen Gebäude ein Schwesternerholungs- und -altenheim, verschiedene Verwaltungseinheiten der Vinzentinerinnen sowie bis 2011 das Bildungs- und Tagungshaus St. Vinzenz lokalisiert. 2015 räumte die Kongregation das Haus, danach waren übergangsweise Flüchtlinge und Asylbewerber*innen hier untergebracht, bevor das Haus und Gelände 2016 an ein Immobilienunternehmen verkauft wurde, das den Gebäudekomplex zu Wohnzwecken umgebaut hat.
Gibt es Pläne, die Vorgänge im Bernwardshof aufzuarbeiten?
Das wird von der Gruppe der externen Fachleute empfohlen und die Vinzentinerinnen haben bereits beschlossen, dass sie eine Aufarbeitung zum Bernwardshof initiieren möchten.
Kann man Bischof Janssen weiterhin für seine guten Werke ehren, obwohl es eine Vielzahl an Missbrauchsfällen während seiner Amtszeit, also unter seiner Verantwortung, gegeben hat?
Zweifellos hat Bischof Heinrich Maria Janssen während seines Episkopats von 1957 bis 1982 das Bistum Hildesheim wesentlich geprägt. Zurecht werden die zahlreichen Kirchen erwähnt, die er bauen ließ. Sein großes sozial-caritatives Wirken wird oft hervorgehoben, ebenso sein Dienst als Seelsorger.
Wir sind heute in der Pflicht, uns ein differenziertes Bild dieses einflussreichen Bischofs zu machen. Zur Biografie Janssens gehört das Thema der sexualisierten Gewalt und des Machtmissbrauchs. Zu den dazu vorliegenden Forschungserkenntnissen müssen wir uns klar positionieren. Das vorgestellte Gutachten macht sehr deutlich, dass Missbrauchsfälle und Hinweise darauf während der Amtszeit Janssens nicht verantwortungsbewusst gehandhabt worden sind.
Das institutionelle System und die wesentlichen handelnden Personen der Kirche von Hildesheim haben Straftaten nicht aufgeklärt, sondern gedeckt und Wiederholungstaten möglich gemacht. Betroffene sind vollständig ignoriert und mit ihrem Leid allein gelassen worden. Das ist ein schwerwiegender Befund. Bischof Janssen trägt dafür die Verantwortung.
Wenn wir also heute über den verstorbenen Bischof und dessen Wirken sprechen, dann kann es nicht allein um die Verdienste gehen. Es geht auch um die Schuld und das Versagen Janssens. Die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schärft unseren Blick für die Gegenwart und gibt uns wichtige Hinweise für die Zukunft.
Wie steht das Bistum Hildesheim zum Verbleib von Heinrich Maria Janssen in der Bischofsgruft des Hildesheimer Doms?
Tote soll man ruhen lassen. Deshalb werden die sterblichen Überreste Bischof Janssens im Hildesheimer Dom bleiben. Es wird im Bistum Hildesheim ein Austausch darüber stattfinden, in welcher Form einer Erinnerungskultur künftig auf das Leben und Wirken Bischof Janssens angemessen und differenziert hingewiesen werden kann.
Wird es weitere Untersuchungen zur Person Heinrich Maria Janssens geben?
Das ist denkbar und wird von der Gruppe der externen Fachleute empfohlen. Eine Entscheidung darüber wird das Bistum Hildesheim treffen, wenn der Bericht und dessen Ergebnisse ausgewertet worden sind.
MHG-Studie: Sexualisierte Gewalt im Bistum Hildesheim
Wie viele Betroffene von sexualisierter Gewalt gibt es im Bistum Hildesheim?
Mit der MHG-Studie wurde festgestellt, dass mindestens 153 Personen Opfer von sexualisierter Gewalt durch Geistliche geworden sind. Nach Ansicht von Experten muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Der überwiegende Anteil der Meldungen zu Vorwürfen der sexualisierten Gewalt betrifft Vergehen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren geschehen sein sollen.
Die meisten dieser Meldungen sind als Folge eines Aufrufs des damaligen Bischofs Norbert Trelle im Jahr 2010 bekannt geworden. Die dokumentierten Fälle sind hinsichtlich der Schwere der mitgeteilten Vergehen sehr unterschiedlich. Sie reichen von Grenzverletzungen bis zu schweren sexuellen Missbrauchsvergehen.
Wie viele Priester sind beschuldigt?
Laut der MHG-Studie sind 46 Priester des Bistums Hildesheim sind beschuldigt. Von ihnen sind 36 verstorben. Von den zehn lebenden Priestern sind drei noch im aktiven Dienst, einer von ihnen ist aktuell beurlaubt. Das Bistum Hildesheim hat der Staatsanwaltschaft in der Vergangenheit Unterlagen zu allen lebenden Geistlichen zur Prüfung überlassen. Ein Priester (Andreas L. aus Salzgitter, Verurteilung 2012 durch das Landgericht Braunschweig, Entlassung aus dem Priesterstand im Jahr 2013) ist zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Ein weiterer Priester erhielt im Jahr 2009 eine achtmonatige Bewährungsstrafe und eine Geldstrafe.
In zwei Fällen sind strafrechtliche Verfahren gegen Geldauflage eingestellt worden. In den weiteren Fällen sind die Verfahren wegen eingetretener Verjährung oder mangelnden Anfangsverdachts eingestellt worden.
Zwei Priestern werden keine Missbrauchsvergehen zur Last gelegt, sondern Grenzverletzungen in der Öffentlichkeit. Sie haben intensive Präventionsschulungen erhalten. Der dritte Priester ist der aktuell beurlaubte Geistliche, auf den sich die Pressemitteilung vom 13. Dezember 2019 bezieht. Die Vorwürfe gegen ihn sind der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Strafanzeige mitgeteilt worden. Laut der zuständigen Staatsanwaltschaft sind die Ermittlungen wegen Verjährung eingestellt worden.
Was tut das Bistum Hildesheim, wenn ein Geistlicher der sexualisierten Gewalt beschuldigt wird?
Liegt ein konkreter Verdachtsfall gegen einen Geistlichen vor, wird der Beschuldigte suspendiert. Außerdem wird eine Strafanzeige gestellt und eine kirchenrechtliche Voruntersuchung durchgeführt, mit der festgestellt werden soll, ob aufgrund der jeweiligen mutmaßlichen Tatbestands-merkmale ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet werden kann.
Die härtesten kirchlichen Sanktionsmöglichkeiten sind die Entlassung aus dem Klerikerstand (Laisierung) sowie das Verbot, öffentlich Gottesdienste zu feiern und weitere pastorale Auflagen (darunter klare Distanz zu Kindern, Jugendlichen und / oder schutzbefohlenen Erwachsenen).
Gibt es neben Priestern weitere Personen, die der sexualisierten Gewalt beschuldigt worden sind?
Im Bistum Hildesheim gibt es einige wenige Meldungen zu mutmaßlichen Missbrauchsvergehen oder grenzüberschreitendem Verhalten, in denen Kirchenmitglieder, Küster, Organisten, Lehrkräfte oder ehrenamtliche Mitarbeitende als Beschuldigte genannt worden sind.
Wie sieht die Kooperation des Bistums Hildesheim mit der Staatsanwaltschaft aus? Wie ist der aktuelle Stand?
Das Bistum Hildesheim kooperiert vollständig mit der Staatsanwaltschaft, um Verdachtsfällen von sexualisierter Gewalt angemessen nachzugehen. Die Diözese hat im Herbst 2018 Unterlagen an die Staatsanwaltschaft Hildesheim übergeben, um zu prüfen, ob sich in Bezug auf noch lebende beschuldigte Priester (möglicherweise bisher noch nicht verfolgte) Ermittlungsansätze ergeben.
Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin sechs Ermittlungsverfahren eröffnet, die nach Kenntnis des Bistums Hildesheim (u. a. wegen Verjährung) eingestellt worden sind. Weitere Informationen dazu erteilt die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Hildesheim.
Welche Präventionsmaßnahmen gibt es im Bistum Hildesheim?
Eine umfassend angelegte Präventionsarbeit dient im Bistum Hildesheim dazu, die Sensibilität aller Menschen in der Kirche deutlich zu erhöhen und bereits Anbahnungshandlungen zu unterbinden, die sexualisierter Gewalt in den allermeisten Fällen vorangehen.
In den vergangenen rund zehn Jahren schulte die Kirche von Hildesheim ihre Priester, Lehrer, Gemeindereferentinnen und Pfarrsekretärinnen ebenso wie mehrere tausend Gläubige, die sich ehrenamtlich in Pfarrgemeinden, weiteren kirchlichen Einrichtungen und Verbänden engagieren. Auch die Caritas organisierte flächendeckend Schulungen für ihre Mitarbeitenden in Kitas, in der Altenpflege und in weiteren Arbeitsfeldern. Es wuchsen neue Beratungsangebote heran und vielfältige Ressourcen für den Schutz vor sexualisierter Gewalt. Dazu gehören ausgebildete Präventionsfachkräfte, die vor Ort wirken, indem sie etwa helfen, Schutzkonzepte in kirchlichen Einrichtungen einzuführen.
In regelmäßigen Abständen werden Präventionskurse wiederholt, Vertiefungsfortbildungen und weitere Bildungsangebote, die dazu dienen, eine Kultur der Achtsamkeit in den Einrichtungen der Kirche zu fördern und zu erhalten. In 111 von 119 Pfarrgemeinden sind institutionelle Schutzkonzepte eingeführt worden, die noch fehlenden sollen im Laufe des Jahres folgen.
Was wird im Bistum Hildesheim für die Betroffenen von sexualisierter Gewalt getan? Gibt es eine Betroffenen-Nachsorge?
Das Bistum Hildesheim bietet durch die externen Ansprechpersonen ein jederzeit nutzbares Kontaktangebot. Die Diözese hilft Betroffenen bei Bedarf, eine ambulante Therapiemöglichkeit zu finden, und unterstützt diese Therapien in Einzelfällen auch finanziell. Auf Anfrage vermittelt das Bistum Kontakte für seelsorgerische Gespräche. Darauf aufbauend, erarbeiten zwei Mitarbeiterinnen des Bistums und eine der Ansprechpersonen gegenwärtig gemeinsam mit betroffenen Personen und deren Angehörigen konkrete Inhalte einer Betroffenen-Nachsorge. Die Bistumsleitung ist im Gespräch mit der Betroffenen-Initiative im Bistum Hildesheim, um die Betroffenen in der Vernetzung untereinander und beim Aufbau von Hilfsangeboten Betroffener für Betroffene zu unterstützen.
An wen können sich Opfer, Betroffene oder Angehörige wenden, die sich bisher noch nicht getraut haben sich zu melden?
Betroffene können sich an die externen Ansprechpersonen für Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt in Bistum Hildesheim wenden, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur Diözese stehen. Die Kontaktdaten finden sich hier:
Wie viele Anträge auf Anerkennungszahlungen wurden bis zum 31.12.2020 im Bistum Hildesheim gestellt? Wie viele sind es seit dem 1.1.2021?
Von 2011 bis Ende 2020 wurden von 62 Personen Anträge auf Anerkennung des Leids gestellt. Die Gesamtsumme lag bei 306.000 Euro. Die höchste Einzelzahlung belief sich auf 12.000 Euro.
Im Jahr 2021 sind 18 Erstanträge sowie 27 Folgeanträge hinzugekommen. Die Summe der ausgezahlten Leistungen beträgt im Jahr 2021 aktuell 109.000 Euro aus bis jetzt vier Anträgen, die bewilligt von der Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) beschieden worden sind. Die höchste Einzelzahlung im Jahr 2021 belief sich auf 50.000 Euro.
Die Anzahl der antragstellenden Personen beläuft sich also zum heutigen Tag insgesamt auf 80. Unter den 80 Personen befinden sich 27 Personen, die mehr als einen Antrag gestellt haben. Die Gesamtsumme inklusive 2021 liegt gegenwärtig bei 415.000 Euro.
Die Zahlungen werden aus dem Haushalt des Bistums Hildesheim geleistet. Haupteinnahmequelle des Bistums Hildesheim ist die Kirchensteuer.
Wird den Betroffenen in Bezug auf die Zahlungen in Anerkennung des Leids juristischer Beistand (z.B. hinsichtlich der Durchsetzung von Rechten) gewährt?
Die Leistungen in Anerkennung des Leids werden als freiwillige Leistungen und unabhängig von Rechtsansprüchen erbracht. Dies geschieht als Zeichen der institutionellen Mitverantwortung und zur Sicherstellung von Leistungen an Betroffene ohne eine gerichtliche Geltendmachung und insbesondere, wenn nach staatlichem Recht vorgesehene Ansprüche gegenüber dem Beschuldigten wegen Verjährung oder Tod nicht mehr geltend gemacht werden können. Während des Verfahrens stehen die beauftragten Ansprechpersonen des Bistums als Unterstützung den antragstellenden Personen zur Seite.